Freitag, 2. Dezember 2011

Adventsgeschichte



In der U-Bahn saß ich und holte das feine Drahtnetz aus der Tasche, mit dem ich noch nichts angestellt hatte. Wie andere Menschen, die in öffentlichen Verkehrsmitteln lesen, in ihre Handies tickern, stricken, Fingernägel säubern oder vor sich hinstarren, muss ich mich auch betätigen, um die Zeit zwischen Einstieg und Ausstieg zu überbrücken. Zur Zeit ist es eben bei mir die Beschäftigung mit einem dieser Golddrahtnetze. Ich spiele mit meinen Fingerspitzen so lange damit herum, bis eine Figur entstanden ist. Kleine, unaufwendige Bewegungen sind das, geräuschlose, die niemanden behindern.

Aus dem Lautsprecher stolperte die Ansage für die nächste Station und brach plötzlich ab. Da musste ich laut lachen, und aus mir heraus polterte: "Oh, jetzt hat er Schluckauf!" Die junge Frau, die mir gegenüber saß, verstand sofort, was mich erheiterte, und lachte ebenfalls. Ich knetete den Draht. Neben mir saßen drei junge Burschen und tickerten in ihre Handies. "Das kann ich auch!", sagte ich, schaute den neben mir an und dann auf meine Hände. Er verstand nicht, blickte wortlos seine Kumpel an mit einem abfälligen Grinsen im Gesicht. Die junge Frau lachte wieder. Ich tickerte weiter mit den Fingerspitzen. Kurz bevor ich aussteigen musste, war ich fertig. Ich stand auf, ging zur Tür, neben der die junge Frau saß und schenkte es ihr. - "Für mich?" - "Ja!" - Etwas erstaunt  hielt sie das Golddrahtstückchen in ihrer Hand und stand auf. - Wir stiegen gleichzeitig aus und gingen gemeinsam die Treppe zum Ausgang hinauf. - "So eine Überraschung!", sagte sie. - "Schön."




(c) christA frontzeck, Dezember 2011

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