Donnerstag, 4. August 2011

New York und ich


New York, das wird dir sehr gefallen, hat eine Freundin zu mir gesagt... zurück in Berlin lasse ich meine Eindrücke ein wenig ausklingen... es war meist spätsommerlich warm dort... bei Ankunft am Flughafen wird der Besucher übermüdet im landesgängigen Schlangestehen trainiert... ich muss meine Visapapiere nochmals ausfüllen, weil ich sie mit blauem anstatt schwarzen Kugelschreiber ausgefüllt hatte... New Yorker kennen keinen Sternenhimmel... Ich habe gehört, ein New Yorker verbrauche pro Tag die Energie, die eine afrikanische Familie für ein halbes Jahr bräuchte... habe viel Verfall und Verwahrlosung gesehen... das permanente Surren der Klimaanlagen ist ein vorherrschendes Geräusch... Sirenen, Fluglärm, das Rollen und Hupen der Autos sind nicht wegzudenken... ein dunkelhäutiger Eismann hat mich gefragt, ob die Deutschen immer noch geteilt seien?... habe schlechte Kunst gesehen... beim Einstieg in U-Bahnen stellt sich die Frage nach Sicherheit... in Schlaglöchern auf den Strassen kannst du dir nicht nur den Knöchel brechen, du kannst sterben, wenn du nicht aufpasst... nachdem ich drei Tage dort war, habe ich gedacht, in New York können nur gestörte Menschen leben... wie Menschen aus Europa 5 Tage zum Einkaufen dorthin fliegen können, ist mir völlig unverständlich geblieben... mindestens eine Stunde U-Bahn-Fahrt, um in einen Park zu gelangen... ein WirrWarr an Stimmen, an Kulturen, an Buntem... die leckersten Gartenäpfel seit Jahren habe ich auf einem Bauernmarkt gefunden... die stinkendsten Obdachlosen auf Bänken schlafen sehen... Eichhörnchen sind grau, sie sind mutierte Ratten... die Blätter der dortigen Eichen sind wie feines Gefieder, das Haus der Eichel ist weichstachelig... alle Menschen gehen bei Rot über die Ampeln, wenn keine Gefahr besteht... durch einige Strassen Manhattans zu laufen, erscheint mir wie durch einen versteinerten hohen Wald zu gehen... der Boden unter meinen Füßen vibriert ähnlich wie der Boden der durch ihre Stahlkonstruktion schwankende Kuppel des Reichstagsgebäudes... wie auf einem Jahrmarkt komme ich mir vor, an allen Straßenecken steigt der Geruch gebrannter Mandeln in die Nase und der des verbrannten Abklatsches bayerischer Laugenbrezeln... manche essen sie mit Senf... an einem Wohnwagen, der am Straßenrand steht, kaufe ich eine Briefmarke... der Mann macht einen Air Mail Stempel auf meinen Brief und gibt ihn mir zurück... wo der nächste Briefkasten sei, wisse er nicht... Briefkästen sind schwer auszumachen..., sie sind dunkelblau, und da sie aussehen wie verbeulte Mülleimer, machen sie keinen besonders vertrauenerweckenden Eindruck... große Begeisterung für die Brücke von Brooklyn nach Manhattan... Freiheitsstatue links, vorne die Skyline, auch ohne World Trade Center beeindruckend... an Fenstern, auf Köpfen, an Autos, auf Häuserdächern wehen die am Ende vom Wind ausgefransten Nationalfähnchen aus schlechten Stoffen... zum Jahresende werden sie verweht sein, wenn sie nicht ausgetauscht werden... freundliche Menschen aller Hautfarben sind überall schnell zu kleinem, freundlichen Wortgeplänkel bereit... im Vorübergehen auf der Strasse ist oft ein Lächeln auf den Lippen... in den Waschsalons und in den Banken laufen Fernseher... Skulpturen von Rodin habe ich gesehen, die mir sehr gut gefallen haben; sein Denker leider und unverständlicherweise sehr hoch unter der Decke platziert... in den U-Bahnen gibt es keine Schwarzfahrer... wenn du kein Geld hast, kannst du nicht U-Bahn fahren... wo früher das World Trade Center stand, war vorher das arabische Viertel, habe ich gehört... vom Krieg in Afghanistan war wenig zu erfahren, von Milzbrand ein bisschen, von Europa fast gar nichts... das Leitungswasser stinkt nach Chlor... was ich von der Stadt kennen gelernt habe, erscheint mir wie eine riesengroße Stone-Washing-Machine, in der sich alles immer umwälzt und auf nichts Verlass ist als auf Lärm... Hunde kläffen... Grillen zirpen... Vögel singen Lieder, die ich hier nie gehört habe... vor dem Fenster, hinter dem ich schlief, ein überriesengroßer Weidenbaum, dessen im Winde wehende Zweige mir erschienen wie die überriesengroße Mähne eines Pferdes, das in meinen Träumen dahinreitet... ging ich durch die Strassen, habe ich mich gefragt, was dieses Herumlaufen solle? Sah ich mir die Menschen an, vergaß ich meine Suche nach einem einzigen Mitbringsel; sah ich die Häuser an, vergaß ich die Menschen... so verworren alles... wäre ich nicht gut aufgehoben dort gewesen, hätte ich mich sehr verloren gefühlt...


(c) christA frontzeck, Oktober 2001

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