Samstag, 5. Februar 2011

Wie kommt der Strumpf auf die Straße?

    Nicht die, offensichtlich von Menschen in Not, durchstöberten Säcke der Kleidersammlungen und die in deren Umgebung verstreut herumliegenden Kleidungs­stücke geben dem Passanten Rätsel auf, sondern einzel­ne, verloren wirkende.
    Das Taschentuch ist erklärbar. Es fällt beim Her­ausziehen des Handschuhs aus der Jackentasche herun­ter, ohne vom Besitzer bemerkt werden zu können. Doch wie verhält es sich mit einem einsamen Schuh, einem Strumpf oder gar mit einer Unterhose? Diese werden nicht in Jackentaschen herum getragen.
    Selbstverständlich gibt es Ausnahmen. Wenn zum Beispiel eine junge Frau beim Abschied von ihrem Liebs­ten feststellt, daß sie vergessen hat, ihren Slip anzuzie­hen, kann sie sich den ohne weiteres in die Manteltasche einstecken und ihn auf dem Nachhauseweg nach ange­führtem Beispiel verlieren. In ihrer Wohnung wundert sie sich über den Verlust und findet keine Erklärung. Sie wird nicht den Verstand verlieren wegen dieser Nebensache. Sie wird möglicherweise nicht darüber sprechen.
    Selten werden Kleidungsstücke aus dem Fenster geworfen; meist in Verbindung mit Abschiedsszenen, wo­bei das gesamte Hab und Gut der zu verbannenden Per­son einschließlich Rasier -oder Schminkzeug mit nachfol­gendem Koffer fliegt. Das kommt in Filmen vor. Ich selber habe so etwas in der Wirklichkeit nicht gesehen. Einmal warf eine junge Frau das Bett aus dem Fenster der im vierten Stockwerk gelegenen Wohnung ihres Geliebten - Gestell und Matratze - in den Hof hinunter, nachdem sie ihn mit einer anderen Frau im selben erwischt hatte. Ich sah die etwas ramponierten Gegenstände auf dem ge­pflasterten Boden liegen, die Handlung habe ich nicht mit­erlebt.
    Bei jedem Wetter gehe ich gerne spazieren, Son­nenstrahlen locken mich ganz besonders heftig aus dem Haus. Vor einigen Tagen komme ich von einem Spazier­gang unter strahlendblauem Himmel nach drei Stunden zurück. In Höhe der Bäckerei, die wohl achtzig Meter von meinem Haus entfernt liegt, fällt mein Blick auf einen So­cken, nach mondrianschem Vorbild schwarzweißgrauka­riert, der auf dem Gehweg liegt. Ich bleibe stehen und be­trachte ihn. Ohne mich zu bücken - herumliegende So­cken hebe ich nicht ohne weiteres auf - denke ich: so einen besitze ich auch! Tags zuvor hatte ich das Paar an. - Wie kommt mein Socken auf die Straße? - Ist das etwa nicht meiner? - Es ist kaum zu glauben, dass ein anderer einen gleichen aus seiner Manteltasche verloren haben soll. - Ich denke nach.
    Am Abend vorher war ich sehr müde und anstatt mich mit Umwegen vom Schlaf abzuhalten, hatte ich Ober -und Unterbekleidung - Slip, Strümpfe, Hose - zugleich ausgezogen und alles ineinander verknäuelt auf einen Stuhl geworfen. Am Morgen zog ich frische Unterwäsche und neue Strümpfe, doch dieselbe Hose an. Dieser So­cken muss sich in einem Hosenbein befunden haben, ziemlich weit oben, sonst hätte ich ihn in der Wohnung, im Treppenhaus, vor der Haustür, vor dem Nebenhaus oder vor der Autowerkstatt verlieren müssen. Nein, noch ein Stückchen weiter, hier vor der Bäckerei! Ich bücke mich, um den Socken aufzuheben. - Er ist nicht beson­ders schmutzig, kaum betreten. - Passanten müssen einen Bogen um ihn herum gemacht haben. - Es ist Sonn­tag. Am Sonntag sind nicht so viele Menschen in dieser Straße unterwegs wie an anderen Tagen. Ich ekele mich nicht. Ich behalte den Socken in der Hand bis in meine Wohnung hinauf.
    Beim Aufschließen der Wohnungstür - immer noch in Unklarheit des Eigentumsverhältnisses - der Gedanke, was wohl wäre, wenn ich in Zukunft drei Socken dieser Art besäße? - Der Nutzen wäre gleich Null!



(c) christA frontzeck

2 Kommentare:

  1. Nun, hast Du jetzt DREI Socken?

    Verwunderlich, wie das Leben manchmal so spielt ...

    Schmunzelnd grüßt

    Der Emil

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  2. drei Socken anderer Art habe ich inzwischen. Da macht es nichts, wenn mal eine abhanden kommt.

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